Natur- und Reisefotografie - Michael Lohmann

 

Ein Moment


Auf der Fahrt mit dem Schiff entlang der Küste Westgrönlands nach Norden – wie jeden Morgen geht der erste Blick nach dem Aufwachen nach draußen: wie beginnt der neue Tag ? Heute ist ein schmaler tiefroter Streifen am Horizont zu erkennen, der sich langsam mit der auftauchenden Sonne verbreitert. Eisberge in der Ferne - als wir näher kommen, ziehen sie als dunkle, geheimnisvolle Gebilde vorbei.

Schnell aus der Kabine nach oben an Deck - draußen ist es sehr kalt, da ist die Kommandobrücke, die für alle Passagiere geöffnet ist, ein guter Rückzugsort. Noch bin ich der einzige Passagier, der russische Kapitän Ivan steht an der Radarnavigation und steuert das Schiff auf seinen Kurs. Lange Stille, der Himmel färbt sich immer weiter rot, ein unglaubliches Farbenspiel. 

   

"Have you ever seen golden icebergs ?", klingt plötzlich Ivans Stimme zu mir hinüber. "No" antworte ich, ohne genau zu wissen, was er eigentlich meint. ... "Today you will see them". Und genauso wird es. Die ersten direkten Sonnenstrahlen kommen durch und tauchen die Silhouetten mancher Eisberge in ein fast unwirklich goldenes Licht.




Vor uns treibt ein riesiger Eisbrocken, ca 50 m hoch, seine Spitzen gezackt, dunkle geheimnisvolle Flächen neben goldenem Glanz. Langsam fahren wir an ihm vorbei und lassen ihn hinter uns - innerlich wieder in einer ehrfürchtigen, staunenden Stille gelandet, tief berührt, fast berauscht von dieser visuellen Eindrücklichkeit.




Solche Erlebnisse sind Glücksmomente für mich. Sie tauchen manchmal auf, in der Regel unerwartet, oft wie ein Geschenk, fast nie planbar. Sie erfüllen innerlich für lange Zeit. Sie sind Anreiz zum Unterwegs sein. Sie vertiefen den Bezug zu Natur und Umwelt, die so stark von menschlicher Tätigkeit geprägt und bedroht sind und sich doch in ihrer Zauberhaftigkeit immer wieder zeigen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob ich in Grönland oder vor meiner Haustüre im westfälischen Münsterland bin. Auf einem Spaziergang an einem frühen Herbstmorgen im Wald .... plötzlich fällt mein Blick auf ein gerade von den ersten Sonnenstrahlen beschienenes, in der Nacht entstandenes Spinnennetz, voller kleiner funkelnder Wassertropfen, leicht umhüllt vom Bodennebel, umrahmt von den ersten heruntergefallenen Blättern – wieder stoppt der Blick der Augen, der Geruch des Waldbodens steigt langsam empor, Ehrfurcht liegt in der Luft.

Unsere Welt ist voll von visuellen Schönheiten und Reichtümern für mich. Sie zeigen sich im Tages- und Jahresablauf in der Natur genauso wie zum Beispiel im Lächeln eines Menschen oder in der Begegnung mit einem Tier. Was wir davon wahrnehmen, hängt viel von unserer Bereitschaft ab, mit offenen Augen betrachtend, erforschend, manchmal auch staunend hinauszublicken.

Fotografie schärft solche Sehweise – und so entsteht in manchem Augen-Blick ein magischer Moment.